Psychische Fehlbelastungen zählen nach wie vor zu den Negativ-Trends in der Geschäftswelt.
Zur Bekämpfung gibt es mannigfaltige Herangehensweisen und mehr als eine Berufsgruppe. Geringe Markteintrittsbarrieren spülen aber auch Anbieter auf den Markt, die kurze Qualifizierungsbausteine anbieten und verlauten lassen, dass man dann eine Fachkraft sei – diesen kommt man jedoch auf die Schliche.

Themen wie Burnout und vor allem allgemein psychische Fehlbelastung nehmen jährlich an Bedeutung zu. In einem unserer Beiträge haben wir die neuesten, besorgniserregenden Zahlen zu den Fehltagen in Deutschland thematisiert.

Im Business-Kontext wird gerne von Vision und Mission gesprochen. Die Vision ist hier für mich, dass es eines Tages psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz nicht mehr gibt. Die Mission sehe ich in der Implementierung von den Maßnahmen auf dem Weg dorthin: Motivationsanalysen, effiziente Kommunikation, zufriedenstellende Teamgestaltung und Führung, Prozesse und Strukturen – immer mit dem Ziel psychische Fehlbelastungen soweit wie möglich zu reduzieren, zum Wohle von Firma, Chef und vor allem der Mitarbeiter.

Man erschrickt sich also doch sehr, wenn man feststellen muss, dass es Leute gibt, deren Vision-Mission-Formulierung wie folgt zu lauten scheint: „Psychische Belastungen erhalten und mit deren Erhalt Geld verdienen.“ So lesen sich zumindest Angebote, die in der Berater-/Coaching-Szene verschickt werden:

Wir sind ein bundesweites Netzwerk, welches Unternehmen bei der Umsetzung des psychischen Arbeitsschutzes begleitet. Vielleicht wissen Sie von der Novellierung des Arbeitschutz-Gesetzes aus dem Jahr 2013, nach der alle Arbeitgeber eine "Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen" durchführen müssen.… Da die Aufsichtsbehörden seit 2016 grundsätzlich eine Arbeitnehmerbefragung verlangen, entstehen so natürlich auch kalkulierbare Zeiteinsätze und Umsätze…. Um mit dabei sein zu können, hat der Gesetzgeber bestimmte Ausbildungskriterien vorgegeben. Das bedeutet für Sie, dass Sie zwei Ausbildungsschitte absolvieren müssen - die Stufe 1: …(1 Tag Fernstudium und 2 Tage Präsenzuntericht: x EUR zzgl. MwSt.) und nach erfolgreicher Prüfung die Stufe 2: … (1 Tag Fernstudium, 2 Webinare, 1 Tag Präsenzunterricht, Prüfung: y EUR zzgl. MwSt.)). Da der Gesetzgeber auch den Nachweis der ständigen fachlichen Ausbildung verlangt, müssen Sie bei unserem Netzwerk Mitglied sein, um so jeden Monat eine 8-seitigen Fachinformationsschrift zu erhalten. Diese kostet statt… im Rahmen unserer Aktion nur… EUR/Jahr.“

Bei aufmerksamer Lektüre stolpert man schnell über Pauschalisierungen: Der Gesetzgeber (ein Ministerium? Eine Bundesagentur?), die Aufsichtsbehörden (Unfallkassen? Gewerbeaufsichtsämter? Berufsgenossenschaften?), grundsätzlich eine Arbeitnehmerbefragung (basierend auf dem Grundgesetz?).

Auf Nachfrage, wie beispielsweise die Umfrage durchgeführt wird, kommt unser eingangs vermutetes Vision-Mission-Statement („Psychische Belastungen erhalten und damit Geld verdienen“) deutlicher zum Vorschein. Die Antwort lautet:

„Da die Befragungen bei uns unter Zeitstress erfolgen (15 Minuten Gesamtdauer, jede Frage nur fünf Sekunden Antwortzeit, Befragung in der Gruppe), sind 200 Befragungen am Tag ohne großes Problem bewältigbar“

Gefährdungsbeurteilung der Psyche mittels Stresstest?

Weitere Konkretisierungen der pauschal formulierten E-Mail blieben leider aus. Der zitierte Text spricht auch von bestimmten Ausbildungskriterien, die der Gesetzgeber verlangt. Es wirft das Problem der fehlenden Diplome im Bereich der Coaches, Trainers & Co auf. Eine solch niedrige Markteintrittshürde ist gut für Innovation und gesunden Wettbewerb, gibt jedoch Raum für allerhand Merkwürdigkeiten. Wie vermittelt man also glaubwürdig tiefgehendes, vor allem echtes Wissen? Ein Coach ist schließlich kein Ingenieur, der Maschinenbau studiert und sich dann Dipl. Ing. schimpfen darf. Eine Blaupause, um Coach/Berater zu werden, gibt es nicht. Ein Studium kann – muss jedoch nicht – ein erstes Qualitätsmerkmal eines Berater/Coaches sein. Viele Berater/Coaches machen sich erst selbständig nach einer Tätigkeit in einer Firma. In der Regel werden dann auch Zusatzqualifikationen erworben, um speziell auf die menschliche Psyche im Arbeitsalltag eingehen zu können. Solche Ausbildungen sind ebenfalls ein gutes Zeichen für Qualität bei einem Berater/Coach.

Ein weiteres, wichtigeres Merkmal von Professionalität ist die Vernetzung innerhalb der eigenen Branche, oft mithilfe von Berufsverbänden. Ein Fachverband hier ist der VDSI, bei dem fachlich versierte Personen mit entsprechenden Ausbildungen, Mitglieder werden und sich engagieren können, wie Frau Petra Zander, die gemeinsam mit einer Kollegin den Fachbereich Psyche leitet. Dieser beschäftigt sich explizit mit der Frage der psychischen Belastung am Arbeitsplatz und der fachgerechten Umsetzung einer qualitativ hochwertigen Gefährdungsbeurteilung. Ihr liegt oben zitiertes Angebot vor und sie meint dazu: 

„Gefährdungsbeurteilungen obliegen i.d.R. den Personen die für die Arbeitssicherheit zuständig sind, den Fachkräften für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit kurz SiFa’s und Betriebsärzten. Da aber mitunter Unsicherheit besteht, wie eine nutzenstiftende Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Faktoren aussieht, gerade weil es keine vorgeschriebene Form der Umsetzung gibt, der Mensch sich auch schlecht Normen lässt, macht es in vielen Fällen Sinn weitere Fachkräfte mit arbeits-/organisationspsychologischer Zusatzqualifikation und Erfahrung hinzuzunehmen.

Auf alle Fälle wird kein noch so langjährig tätiger Berater/Coach mit einer x-tägigen Ausbildung die Fertigkeiten in diesem Bereich erlangen, die Fachkräfte aufgrund staatlich anerkannter Aus- und Fortbildungen qualifiziert!“

Man sollte also stets mit offenen Augen durch die Welt gehen und Vorsicht walten lassen, wer da vor einem steht. Kritisches und beharrliches Nachfragen zeigt meist sehr schnell, wen man vor sich hat: Jemand, der etwas weiß oder jemand, der nur zu wissen vorgibt.

April 2017